"Und jedem Abschied wohnt ein Zauber inne..."- Ein Blick auf die positiven Seiten des Abschiednehmens

Ende Juli stand unser Umzug an. Zeit also Abschied zu nehmen, von Freunden, Orten und Gewohnheiten. Wir sprachen daher selbst viel über Abschied, werden aber auch häufig darauf angesprochen. Die meisten Gespräche darüber sehen im Abschied etwas Negatives, Schwieriges , Trauriges.  Aber wie bei so Vielem gibt es auch beim Abschied  die berühmten zwei Seiten einer Medaille. Diesen Blogbeitrag möchte ich dazu nutzen den Blick auf die positiven Punkte des Abschiednehmens zu legen- denn ja, die gibt es durchaus auch. Am Ende gibt es auch ein paar Ideen zur praktischen Umsetzung von Abschieden mit Kleinkindern und einen persönlichen Rückblick auf unseren Abschied von Deutschland.

Die eine Seite der Medaille

Beim Thema Abschied denkt man unweigerlich auch immer ein bisschen an Tod und Sterben. Abgesehen davon , dass Abschiede in unserer durch Internet und Flugzeuge gut vernetzten Welt nicht mehr entgültig sein müssen, ist der Gedanke auf der anderen Seite nicht ganz so abwegig.


"Abschied nehmen bedeutet immer ein wenig sterben."             (frz. Sprichwort)



Abschiede sind immer kleine Tode. In der heutigen Zeit in der man via sozialer Onlinenetzwerke und Skype global verbunden ist, vielleicht  nicht mehr ganz so endgültig wie noch vor 100 Jahren, als man nicht  einmal sicher wusste, ob die Briefpost nicht doch auf dem langen Weg verloren geht und in Kontakt zu bleiben vielmehr Aufwand erforderte als heutzutage. Aber dennoch stirbt die gemeinsame Zukunft und ein Teil von einem selbst. Die gemeinsame Zukunft, weil die gemeinsame Zeit mit Freunden an einem Ort zu Ende geht.  Ein Teil von einem selbst, weil  die eigene Persönlichkeit auch ortsgebunden ist. Die Nomaden unter euch werden das Phänomen kennen, dass an jedem neuen Wohnort auch ein anderer Teil der eigenen Persönlichkeit mehr hervortritt und andere Teile in den Hintergrund treten und man am neune  Wohnort nicht als dieselbe Person auftritt und/oder wahrgenommen wird wie am Wohnort zuvor. 


Alle Veränderungen, sogar die meistersehnten, haben ihre Melancholie. Denn was wir hinter uns lassen, ist ein Teil unserer selbst. Wir müssen einem Leben Lebewohl sagen, bevor wir in ein anderes eintreten können.                                                                                                              Anatole France (1844-1924), französischer Schriftsteller



Als Familie mit mobilem Lebensstil konfrontieren wir unsere Kinder öfter bewusst mit dem Thema Abschied. Die Betonung liegt hier auf „bewusst“- den auch Familien, die niemals den Wohnort wechseln haben in ihrem Leben regelmäßig Abschiede und Neuanfänge. Manche davon werden durch gesellschaftliche Rituale bewusst gemacht- Einschulung und Hochzeit sind solche traditionellen Rituale- aber viele Abschiede gehen im Alltagsgemenge unter. Kinder von mobilen Familien erleben viele Abschiede- so viele Abschiede wie manche Erwachsene  noch nicht erlebt haben- und es wird immer gefragt, „ob das denn so gut sei für das Kind“.  Man könnte das Ganze aber auch einmal aus einer anderen Perspektive betrachten, und fragen ob es im Hinblick auf den finalen Abschied, den wir alle früher oder später in unserem Leben haben werden, nämlich den Abschied von dieser Welt- unseren eigenen Tod also- nicht besser wäre, wir hätten oft genug Gelegenheit gehabt uns bewusst im Verabschieden zu üben?

 


Eine große Aufgabe des Lebens ist es, dass wir lernen müssen Abschied zu nehmen. (Quelle unbekannt)



Wie lernt man es also, dieses Abschiednehmen? Zugegeben, wir sind auch noch mitten im Lernen. Selbst nach 6 Umzügen ist es nie ganz einfach. Abschied nehmen ist für uns jedes Mal aufs neue eine Herausforderung. Aber wenn man in das Thema Trauerarbeit einsteigt, das man eigentlich nur im Zusammenhang mit dem Thema Tod und Sterben kennt,  dann bekommt man doch einige hilfreiche Hinweise und Denkanstöße. Und diese Denkanstöße möchte ich hier mit euch teilen.

Zuerst einmal fand ich die Erklärung dafür, warum wir Abschiedssituationen so unangenehm finden sehr nachvollziehbar und hilfreich: 

Abschied nehmen ist mit einem Schwall unkontrollierbarer Gefühle von einem selbst und seinem Gegenüber verbunden. Ein Abschied lässt uns klarer sehen. Plötzlich kommen Emotionen hoch, von denen man nicht gedacht hätte, dass sie da sind und man muss unvorbereitet darauf reagieren. Oder man ist überraschend mit Gefühlen seines Gegenübers konfrontiert, die man selbst und der andere nicht erwartet haben. Es ist eine Herausforderung für alle Beteiligten mit diesem Gefühlschaos angemessen umzugehen.

Manch einer lässt es daher lieber ganz bleiben. Das ist schade. 

Die andere Seite der Medaille

Denn die andere Seite der Medaille ist, dass ein Abschied auch die Chance bietet, echte Gefühle zu zeigen und der jeweiligen Beziehung dadurch mehr Tiefe zu verleihen. Man kann zeigen, wie wichtig einem die Person ist, man kann die schönsten gemeinsamen Momente nochmal Revue passieren lassen und man kann vielleicht das sagen, was man eigentlich schon immer mal sagen wollte. Im Abschied liegt auch immer ein Moment der ehrlichen Wertschätzung.

 


"Abschied ist die innigste Form menschlichen Zusammenseins." (Hans Kudszus)



Ein Abschied bietet auch die Möglichkeit bewusst zurückzublicken. Wir schaffen es oft nicht im Alltagstreiben inne zu halten und bewusst ein Resümee der vergangenen Jahre zu ziehen. Ein Abschied bietet Gelegenheit dafür, wenn man möchte.

 

Aus der Forschung mit Angehörigen von Verstorbenen weiß man, dass

es viele Strategien gibt mit Abschied umzugehen. Beispielsweise kann Trauer sich auch in Wut statt Tränen zeigen. vor einigen Jahren bei unserer Ankunft in Belgien hatte ich eine sehr wütende kleine Tochter. Leider habe ich damals noch nichts zum Thema Abschied gelesen, so dass ich für sie und mich damals den Zusammenhang nicht herstellen konnte und die Trauer nicht benannt werden konnte.

Ausserdem trauert jeder Mensch unterschiedlich lange. Das kann ein Grund dafür sein, warum in einer Familie  nicht alle gleichzeitig mental ankommen können, auch wenn für jedes Familienmitglied am neuen Ort die gleichen Bedingungen vorherrschen.

 

Und noch etwas haben die Forscher herausgefunden: 

Wenn man nicht Abschied nehmen kann, ist das Risiko höher, dass die Trauer länger anhält.

Dieser Punkt liegt mir ganz besonders am Herzen. Fragt man junge Erwachsene die in ihrer Kindheit häufig umgezogen sind, was sie am meisten belastet hat und zum Teil heute noch belastet, antworten viele: die nicht bewältigte Trauer bei jedem Abschied.

Das unterstreicht wie wichtig es ist, auch den Kindern genug Zeit zum Abschied nehmen zu geben, indem man sie frühzeitig über den anstehenden Umzug informiert (wann genau nun "frühzeitig" sein kann, habe ich in diesem Blogartikel erläutert. Außerdem kann es wichtig sein, dass wir als Eltern Abschiedsimpulse setzen, wenn unsere Kinder es nicht von selbst tun. Keine Angst, diese Impulse enden nicht immer in einem Meer von Tränen. Vielmehr sollen sie die Kinder dazu anregen, auf die letzten Jahre an diesem Wohnort zurückzublicken und die Menschen, die ihnen wichtig sind, wertzuschätzen.

Praktische Tipps, wie man Abschiede gestalten kann

 

Bewährte Rituale aus der Trauerarbeit mit Angehörigen von Verstorbenen helfen auch bei kleinen Abschieden. Ich habe hier ein paar Ideen für euch zusammengetragen: 

- Sich Zeit nehmen für die Gefühle die hoch kommen und diesen Gefühlen dann auch Raum geben

- Sich Zeit nehmen für`s Erinnern durch gestalten von oder auch nur anschauen von Fotobücher/Fotoalben der letzten Jahre - dabei darf durchaus Positives UND Negatives der letzten Jahre benannt werden.

- Danke sagen /dankbar sein für Erlebtes: selbst gemachte Abschiedsgeschenke sind hier immer eine tolle Sache und eine besonders persönliche Wertschätzung von besonders leibgewonnen Menschen. Ein selbstgemaltes Bild zum Abschied sagt manchmal mehr als tausend Worte. 

-aus der therapeutischen Ecke kommt diese Idee: Einen Teil da lassen (z.B. ein kleines Herz im Garten vergraben oder einen Wunsch im Gebälk verstecken)und einen Teil mitnehmen (z.B. Erde aus dem Garten in einer schönen Flasche oder die Autokennzeichen)

- eine Musik-CD mit den Lieblingsliedern der letzten Jahre brennen und auf der Abschiedsfeier dazu tanzen

-einen fiktiven Abschiedsbriefe an das eigene Haus/die eigene Wohnung schreiben

- einen Abschiedsspaziergang machen

 

 

 

Das sind nur einige Ideen und Anregungen wie wir mit unseren Kindern Abschiede gestalten können. Manchmal ist aber einfach keine Zeit für all die oben genannten Dinge, weil der Umzug an sich muss ja nebenbei auch noch irgendwie geplant und in die Wege geleitet werden. Dann hilft es, dieses Grundgerüst für die Kinder bereit zu halten:

  • Emotionale Unterstützung
  • Möglichkeiten zum Gespräch
  • Eine vertrauensvolle Beziehung (wie das aussehen kann, erkläre ich in dem Blogartikel zum Thema Resilienz)
  • Akzeptanz negativer Gefühle
  • Vermittlung von Ansatzpunkten von Hoffnung (zum Thema Vorfreude schüren haben ich auch schon mal etwas geschrieben. Den Text dazu findet ihr hier)

(aus integra.at)

 

Rückblick auf unseren Abschied

Unser Abschied aus Deutschland ist nun auch schon wieder eine Monat her und mit etwas Abstand fällt auch die Analyse leichter. Die Kinder hatten sich eine Abschiedsfeier mit ihren besten Freunden gewünscht, einen Abschiedskuchen für die Schulklasse und die Kindergartengruppe und sie haben Abschiedsgeschenke gebastelt. Auch das eine oder andere Fotobuch haben wir durchgeblättert. Außerdem wollten sie nochmal das leere Haus sehen und vor der Abreise Oma und Opa besuchen. All das haben wir tatsächlich geschafft ! Ich bin selbst ein bisschen verwundert darüber, aber wir hatten bei diesem Umzug auch mehr Vorlaufzeit als sonst. Jetzt wo ich so überlege und schreibe fällt mir allerdings auf, dass es sein kann, dass wir Eltern bei all dem Organisieren vielleicht zu kurz gekommen sind. Gespräche über unsere Abschiede und Gefühle zwischen mir und meinem Mann waren rar und geschahen nur am Rande, geschweige denn, dass wir Zeit hatten gemeinsam etwas zu unternehmen (Stichwort: Abschiedsspaziergang). Irgendwie standen immer dringendere Dinge (meist organisatorischer Natur) an, die es galt zu besprechen oder zu erledigen.

Mein Fazit: es ist schön, dass wir es geschafft haben, den Abschied für unsere Kinder nach Wunsch zu gestalten, aber dabei haben wir ein bisschen uns selbst vergessen. Beim nächsten Mal muss der Punkt "eigener Abschied" mehr in den Fokus gerückt werden. Es ist nicht gut wenn Familienmitglieder bei einem Umzug zu kurz kommen. In unserem Fall waren wir das als Eltern. Ich glaube es ist und bleibt die größte Herausforderung für mobile Familien alle gleichermaßen mit ins Boot zu holen. Für den Umzug in drei Jahren muss ich mir unbedingt ein Boot in den Kalender malen.